(von Christian Wolf)
Blutwäscheverfahren allgemein: Stiff-Person wird, wie auch andere Autoimmunerkrankungen, durch krankheitsverursachende Antikörper hervorgerufen (GAD-AK, Amphiphysin-AK, Glycin-Rezeptor-AK…). Gängige Behandlungsmethoden (z.B. Rivotril oder Kortison – symptomatische Therapie) bekämpfen die Symptome und nicht die krankheitsverursachenden Antikörper. Sinn der Blutwäschen ist es dagegen, diese Antikörper aus dem Körper zu entfernen (Bekämpfung der Krankheitsursache – kausale Therapie). Bei den in der Dialyseabteilung durchgeführten Blutwäscheverfahren wird Blut aus dem Körper gepumpt, die festen Bestandteile (Zellen, rote Blutkörperchen…) abgetrennt, der flüssige Teil des Blutes (Plasma) gereinigt oder ausgetauscht, wieder mit den festen Bestandteilen gemischt und zurück in den Körper gegeben.
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Sheldonkatheter: Für beide Blutwäscheverfahren ist ein sogenannter Sheldonkatheter notwendig. Während der Blutwäschen wird, wie bei einer Dialyse, kontinuierlich Blut aus dem Körper entnommen und wieder zurückgegeben. Vor dem Herz findet sich hierfür am meisten Blut. Der Katheter wird über eine Vene am Hals (alternativ eine Vene unterhalb des Schlüsselbeins) bis vor das Herz geführt, die geschieht unter lokaler Betäubung in der Dialyse Abteilung. Im Katheter laufen 3 Zugänge (durch einen wird Blut aus dem Körper gepumpt, durch den zweiten Zugang wird Blut zurückgeführt und durch den dritten Zugang können Medikamente in den Körper gegeben werden). Der Katheter bleibt während der ganzen Prozedur (5-14 Tage, selten auch länger) im Körper. Hygiene durch regelmäßige Desinfektion ist hier wichtig, er sollte sich nicht entzünden.
Immunadsorption:
Bei der Immunadsorption wird das Plasma über kleine Säulen gereinigt.
Dabei bleiben die im Plasma gelösten Antikörper an der Säule hängen. Das gereinigte Plasma wird zurück in den Körper gepumpt. Alle weiteren im Plasma enthaltenen Bestandteile (z.B. Gerinnungsfaktoren) gehen in den Körper zurück. Während der Immunadsorption muss die Säule regelmäßig regeneriert werden (also die an der Säule hängenden Antikörper entfernt werden). Daher werden zwei Säulen parallel verwendet. Während auf einer Säule Antikörper entfernt werden wird die andere Säule regeneriert. Die Prozedur dauert ca. 3-5 Stunden (oder länger, wenn der Katheter nicht gut läuft) und wird mindestens an 5 Tagen durchgeführt, Pausentage können eingeschoben werden.
Plasmapherese:
Bei der Plasmapherese wird Plasma entfernt und durch synthetisches Plasma (selten auch durch Spenderplasma) ersetzt. Entsprechend werden nicht nur die Antikörper entfernt, sondern alle im Plasma enthaltenen Stoffe. Die Prozedur dauert ca. 2 Stunden (oder länger, wenn der Katheter nicht gut läuft) und wird an 5 – 7 Tagen oder öfters wiederholt. Da auch die Gerinnungsfaktoren aus dem Körper entfernt werden, wird standardmäßig zur Regeneration zwischen den Behandlungen ein Pausentag eingeschoben. An jedem Behandlungstag werden ca. 2,5 Liter Plasma (individuell für jeden Patient) gegen synthetisches Plasma ersetzt.
Rituximab:
Bei den Blutwäscheverfahren werden krankheitsverursachende Antikörper entfernt. Mit großem Glück bilden sich bei einigen Patienten die Antikörper nicht mehr, bei anderen Patienten beginnt der Krankheitsprozess dagegen von neuem und die Blutwäsche muss nach einigen Monaten wiederholt werden.
Sinn der Behandlung mit Rituximab ist die Zeit zwischen den Blutwäschen zu verlängern. Rituximab wurde ursprünglich für die Therapie von Non-Hodgkin-Lymphomen entwickelt und ist genauer ein therapeutischer Antikörper (Rituximab: monoclonal antibody = monoklonaler Antikörper) der sich gegen B-Lymphozyten wendet. B-Lymphozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen und sind im Immunsystem des Menschen zuständig für die Produktion von Antikörpern.
Für den Stiff-Person Patienten wäre es ideal nur genau die B-Lymphozyten, die den krankheitsverursachenden Antikörper produzieren, zu zerstören. So ein Medikament gibt es leider noch nicht. Stattdessen vernichtet Rituximab weitgehend unspezifisch alle B-Lymphozyten (die Aussage ist vereinfachend, soll hier reichen), damit auch die krankheitsverursachenden B-Lymphozyten und hat entsprechend als Nebenwirkung eine immunsupprimierende Wirkung. In anderen Worten: Unter Rituximab Behandlung wird ein Teil des Immunsystems des Patienten in seiner Wirkung schlechter.
Weil das nicht so leicht verständlich ist, hier noch einmal ein alternativer Versuch Rituximab zu erklären: Rituximab ist ein therapeutischer Antikörper (also ein von einer Pharmafirma produzierter Antikörper), der im Patienten die B-Lymphozyten angreift und damit die gesamte Produktion von Antikörpern für die Immunantwort des Patienten vermindert. Damit wird auch die Produktion von krankheitsverursachenden autoimmun-Antikörpern vermindert.
Rituximab wird nach der Blutwäsche in der neurologischen Abteilung stationär verabreicht. Es wird über einen Perfusor (eine einstellbare Pumpe) über Stunden intravenös verabreicht. Zur Vermeidung von Schmerzen und alergischen Reaktionen (Überempfindlichkeiten des Immunsystems) werden ergänzend Schmerzmittel und Antihistaminika bzw. Kortison verabreicht. Wird Rituximab zum ersten Mal verabreicht, wird es nach ca. 2 Wochen erneut gegeben. Danach reicht eine einmalige Gabe nach der Blutwäsche.
Rituximab wirkt über Monate. Die Wirkung kann (muss aber nicht) beim Hausarzt über den sog. CD19+ Wert in Blutuntersuchungen überprüft werden. So lange der CD19+ Wert nicht messbar oder extrem niedrig ist, wirkt Rituximab. Ein Anstieg des CD19+ Wertes weist auf ein Nachlassen der Rituximab Wirkung hin.
Fragen und Gedanken zu den beiden Blutwäscheverfahren und Rituximab:
Warum dauert das so lange?
Beide Blutwäscheverfahren werden an aufeinanderfolgenden Tagen mehrfach durchgeführt, z. T. auch mit eingeschobenen Pausentagen. Das zieht den Aufenthalt im Krankenhaus in die Länge, hat aber einen guten Grund: Den Blutwäschen zugänglich sind nur die im Blut bzw. Plasma gelösten Antikörper, nicht aber die Antikörper, die gerade an ihren Zielstellen (z.B. Nervenzellen) gebunden sind und damit die Krankheitssymptome verursachen. In der zwischen den Behandlungstagen verstreichenden Zeit gehen gebundene Antikörper wieder teilweise zurück ins Plasma (ein neues Gleichgewicht stellt sich ein) und können am nächsten Behandlungstag entfernt werden. Wann setzt die Wirkung ein? Das ist bei jedem Patienten verschieden. Ich verspüre meist eine Besserung nach dem 3ten oder 4ten Behandlungstag, an den Tagen zuvor können sich die Symptome durchaus auch zeitlich begrenzt verschlechtern. Die nächsten Monate geht es kontinuierlich bergauf oder bleibt gut. Nach ca. 5 Monaten merke ich eine schleichende bis sprunghafte Verschlechterung der Symptome.
Immunadsorption oder Plasmapherese?
Hier kann es keine allgemeine Aussage geben. Die Immunadsorption wäscht selektiv Antikörper aus dem Blut, vor allem Antikörper vom IgG-Subtyp (Erklärung s.u.) und abhängig vom eingesetzten Säulenmaterial auch andere Antikörper (z. B. IgM und IgA).
Alle anderen im Plasma gelösten Stoffe werden in den Körper zurückgeführt. Das ist sehr elegant.Dagegen wird bei der Plasmapherese das Plasma des Patienten gegen synthetisches Plasma ersetzt. Es werden also alle im Plasma gelösten Antikörper (neben IgG auch IgM…) und alles was da noch so rum schwimmt (☺, je nach Quelle bis zu 2400 verschiedene Stoffe) reduziert. Das ist weniger elegant, kann dafür je nach Bedarf auch vorteilhaft sein. Die Immunadsorption gilt als schonenderes und ungefährlicheres Verfahren.
Bei mir wurden 4 Immunadsorptionen über ca. 2 Jahre durchgeführt. Deren Wirkung verschlechterte sich. Ein Wechsel auf Plasmapheresen war dann sehr erfolgreich…
In diesem Bereich werden die Abkürzungen IgG, IgM und IgA verwendet. Alle bezeichneten Antikörper: Ig steht für Iglobulin (also Antikörper) und der Großbuchstabe dahinter für die Klasse, die sich dann wieder in Unterklassen (IgG1, IgG2…) aufteilen. Soweit mir bekannt, spielen in der Diagnostik der neuronalen Autoimmunerkrankungen nur die IgM und vor allem die IgG Klasse eine Rolle. Beide haben eigentlich die Aufgabe, den Organismus bei der Verteidigung gegen bakterielle und virale Infektionen zu unterstützen. Die IgM Antwort ist dabei zeitlich gesehen die schnellere Variante und IgM Antikörper sind auch deutlich größer als IgG Antikörper.
Wirken Blutwäschen und Rituximab bei Stiff-Person?
Das kann man leider nicht so einfach beantworten. Die Literatur sagt: Bei manchen Patienten ja, bei anderen nicht. Eine sinnvolle statistische Aussage kann hier nicht getroffen werden. Sicher hängt es auch mit dem Krankheitsverlauf zusammen. Besser früh als spät ist wahrscheinlich richtig. Sollte bereits etwas irreversibel kaputt gegangen sein, können Blutwäschen das auch nicht mehr „reparieren“.
Neben den immunsupprimierenden Blutwäschen gibt es noch die immunmodulierende Immunglobulin-Therapie (IVIG). Hier werden die krankheitsverursachenden Antikörper nicht entfernt, dennoch kann ihre krankheitsverursachende Wirkung nachlassen (wirklich verstanden ist der Wirkmechanismus nicht, nur dass er wirken kann, weiß man).
Wo werden Blutwäschen noch eingesetzt?
Beide Blutwäscheverfahren (und auch die Immunglobulin-Therapie) werden bei vielen neuronalen Autoimmunerkrankungen eingesetzt, z. B. bei autoimmunen Encephalitiden, dem Guillian-Barré-Syndrom, Myasthenia Gravis und bei MS.
Impfen unter Rituximab:
Die Wirkung von Impfstoffen unter Rituximab ist mindestens eingeschränkt. Steht eine Rituximab Behandlung erstmalig an ist es eine gute Idee vorher die Standard-Impfungen zu überprüfen und ggf. aufzufrischen.
Immunsystem unter Rituximab:
Die Wirkung des Immunsystems unter Rituximab ist eingeschränkt. Das Immunsystem herausfordernde Fernreisen sind daher vielleicht nicht die beste Idee. Weiterhin sollte ggf. Zugriff auf ein Notfallantibiotikum sicher gestellt sein. Zu diesem Thema unbedingt mit den behandelnden Ärzten sprechen. Ich bin seit über 3 Jahren durch Rituximab immunsupprimiert und hatte noch keine vermehrten Infektionen.
Wie oft werden die Behandlungen wiederholt?
Das ist auch wieder bei jedem Patienten individuell. Bei mir werden Plasmapheresen (7 Stück) und anschließend Rituximab alle 5-6 Monate wiederholt. Damit bin ich mindestens 2x ca. 3 Wochen pro Jahr stationär in der Neurologie.
Ein Tipp zum Schluss:
In manchen Krankenhäusern wird man für die Blutwäschen mit dem Bett aus der Neurologie zur Dialyse gefahren. Eine Runde Immunadsorption kann dann 4-5 Stunden dauern, dazu der Transport (…). Wer nicht in Socken oder gar Barfuß die Toiletten in der Dialyse oder auf dem Weg zurück kennen lernen will, nimmt besser Schuhe oder Badelatschen mit (☺).
Wer mehr wissen will:
- Treatment of Stiff-Person Syndrome With Chronic Plasmapheresis, Grands et al., Movement Disorders, 2013, 3, 396-397
- Efficacy of Therapeutic Plasma Exchange for Treatment of Stiff-Person Syndrome, Pagano et al., Transfusion, 2014, 54, 1851-1856